
Entsendung ins Ausland durch einen Schweizer Arbeitgeber, Sozialversicherungsrecht innerhalb der EU/EFTA
Wenn eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer vorübergehend in einen anderen EU-Staat entsandt wird, bleibt das Sozialversicherungsrecht des Herkunftslands bestehen, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:
- Arbeitnehmer bleibt während der Entsendung in der Schweiz sozialversichert.
- Mindestens 1 Monat vorher in der Schweiz versichert.
- Arbeitsverhältnis: Bindung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bleibt bestehen, Absicht des Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung nach Rückkehr.
- Arbeitgeberaktivität: Arbeitgeber muss im Herkunftsland nennenswert tätig sein
- Kein Ersatz: Keine Ablösung einer anderen Person
- Erwerbsortsprinzip gilt für alle Versicherungszweige.
- Ausnahme: Bei Staaten außerhalb der EU/EFTA gelten Sonderbestimmungen – Beratung durch die Ausgleichskasse
Dauer der Entsendung
- EU/EFTA: Maximal 24 Monate.
- Australien, Kanada, USA: Bis zu 60 Monate möglich.
- Öffentlicher Dienst: Keine zeitliche Begrenzung.
Krankenversicherung bleibt während der Entsendung bestehen (Nachweis bei Befreiung erforderlich).
Entsendungsbescheinigung
- Muss während der gesamten Entsendungsdauer vorliegen.
- Antrag wird vom Arbeitgeber bei der Ausgleichskasse gestellt.
Familienzulagen während der Entsendung
- Anspruch auf Familienzulagen bleibt bestehen.
- Anpassung der Zulagen an die Kaufkraft im Wohnsitzstaat des Kindes.
Besteuerung von Entsendungen aus Schweizer Sicht
Quellensteuer in der Schweiz:
- Arbeitnehmer ohne Niederlassungsbewilligung (Ausweis C) unterliegen der Quellensteuer.
- Steuerschuldner: Der Schweizer Arbeitgeber.
Besteuerungsanspruch des Entsendestaats:
- Entsendender Staat kann bei kurzer Aufenthaltsdauer weiterhin einen Besteuerungsanspruch haben.
- Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) klären die Zuständigkeit.
Art. 15 OECD-Musterabkommen ("Monteurklausel")
a) Grundsatz:
- Besteuerungsrecht liegt beim Ansässigkeitsstaat (Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers).
b) Ausnahme (Besteuerung im Tätigkeitsstaat):
- Arbeit wird physisch im Ausland ausgeführt.
c) Ausnahme von der Ausnahme (Rückfall an den Ansässigkeitsstaat):
Drei Bedingungen müssen kumulativ erfüllt sein:
- Aufenthalt im Ausland: ≤ 183 Tage innerhalb von 12 Monaten.
- Vergütung: Wird nicht von einem Schweizer Arbeitgeber gezahlt.
- Kostenübernahme: Vergütung wird nicht von einer Betriebsstätte in der Schweiz getragen.
Beispiel:
- Ein Arbeitnehmer mit Wohnsitz in Frankreich, der 100 Tage in die Schweiz entsandt wird, bleibt in Frankreich steuerpflichtig, wenn die Vergütung von der französischen Gesellschaft gezahlt wird.
Begriff des Arbeitgebers: Formeller vs. Faktischer Arbeitgeber
a) Formeller Arbeitgeber:
- Vertragspartner des Arbeitnehmers.
b) Faktischer Arbeitgeber:
- Die Unternehmung, die tatsächlich die Weisungsbefugnis über den Arbeitnehmer hat.
Indizien für einen faktischen Arbeitgeber (Einzelfallprüfung notwendig)
- Integraler Bestandteil der Geschäftstätigkeit der Schweizer Gesellschaft.
- Verantwortung/Risiko für die Arbeitsleistung liegt bei der Schweizer Gesellschaft.
- Weisungshoheit wird von der Schweizer Gesellschaft ausgeübt.
- Betriebsorganisation: Arbeitnehmer ist in die Abläufe integriert (Büro, Arbeitsmittel etc.).
- Lohnkosten: Werden von der Schweizer Gesellschaft getragen oder wirtschaftlich übernommen
Praxis der Steuerverwaltungen und empfohlene Vorgehensweise
Prüfung der faktischen Arbeitgeberschaft:
- Schwelle: Prüfung erfolgt bei Entsendungen von mehr als 3 Monaten.
- Kürzere Entsendungen gelten i. d. R. als unkritisch.
Empfehlung:
- Bei längeren Entsendungen (>3 Monate) sollte eine Prüfung der Arbeitgeberschaft erfolgen.
- Bei Unsicherheiten: Ruling-Anfrage bei der zuständigen Steuerbehörde einreichen.
Risiko bei Nichtmeldung:
- Unterlassene Quellensteuerabführung bei faktischer Arbeitgeberschaft in der Schweiz oder Lohnsteuerabzug in Deutschland gilt als Steuerhinterziehung und kann strafrechtlich verfolgt werden.
Verfahren:
- Arbeitgeber informiert den zuständigen Sozialversicherungsträger vorab
- Ausstellung der Bescheinigung A 1, die das anzuwendende Sozialversicherungsrecht dokumentiert
- In Deutschland:
- Zuständig ist die gesetzliche Krankenkasse des Arbeitnehmers
- Falls keine gesetzliche Krankenversicherung besteht → Rentenversicherungsträger oder Berufsständische Versorgungseinrichtungen
Tätigkeit in der Schweiz und in der EU
Arbeitnehmer, die regelmäßig in mehreren Ländern arbeiten (z. B. für verschiedene Arbeitgeber oder ein Unternehmen mit Sitz in mehreren Staaten), unterliegen nur den Vorschriften eines Staates.
Regelung des Sozialversicherungsrechts:
Zuständigkeit | Bedingungen |
---|
Wohnsitzstaat | Arbeitnehmer erbringt einen wesentlichen Teil (≥ 25 % der Arbeitszeit oder des Einkommens) seiner Tätigkeit im Wohnsitzstaat. (Art. 13 Abs. 1 a VO (EG) 883/2004; Art. 14 Abs. 8 VO (EG) 987/2009) |
Besonderheiten
- Kombination aus selbstständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung → Sozialversicherungsrecht des Beschäftigungsstaates gilt (Art. 13 Abs. 3 VO (EG) 883/2004).
- Zuständigkeit für Bescheinigung A 1 in Deutschland: Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung - Ausland (DVKA), Bonn
Ausnahmevereinbarungen
Im Einzelfall können die Schweiz und beteiligte EU-Staaten eine Sonderregelung treffen.
- Antragstellung im Staat, dessen Sozialversicherungsrecht gelten soll
- In Deutschland zuständig: DVKA, Bonn
- Die Entscheidung wird in einer Bescheinigung A 1 dokumentiert
Zusammenfassung
Wer als Arbeitnehmer von einem Schweizer Arbeitgeber ins Ausland entsandt wird oder in mehreren Ländern tätig ist, muss wichtige Regelungen zur Sozialversicherung und Besteuerung beachten. Innerhalb der EU/EFTA gilt das Erwerbsortsprinzip – die Sozialversicherungspflicht besteht am Arbeitsort. Bei einer Entsendung kann die Versicherung im Herkunftsland bestehen bleiben, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind (z. B. max. 24 Monate, Weiterbeschäftigungsabsicht).
Steuerlich relevant ist die 183-Tage-Regelung nach Art. 15 OECD-Musterabkommen: Eine Besteuerung im Heimatland bleibt bestehen, wenn der Arbeitnehmer weniger als 183 Tage in der Schweiz arbeitet und die Vergütung vom Heimatland gezahlt wird. Entscheidend ist zudem, ob der formelle oder faktische Arbeitgeber in der Schweiz sitzt – dies beeinflusst die Quellensteuerpflicht.
Unternehmen sollten bei längerfristigen Entsendungen (>3 Monate) eine steuerliche Prüfung vornehmen und sich ggf. mit den Behörden abstimmen. Fehlende Quellensteuerzahlungen können zu Steuerhinterziehung führen.
Massnahmen:
- Bei einer Entsendung zwischen der Schweiz und der EU bleibt das Sozialversicherungsrecht des Herkunftslands bestehen, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind.
- Wer in mehreren Ländern arbeitet, unterliegt grundsätzlich den Vorschriften nur eines Staates – entweder Wohnsitzstaat oder Arbeitgebersitzstaat.
- In Sonderfällen können Ausnahmevereinbarungen getroffen werden.
- Die Bescheinigung A 1 dient als offizieller Nachweis für die sozialversicherungsrechtliche Zugehörigkeit.
Besteuerung:
- Quellensteuer in der Schweiz bei Entsendung in die Schweiz bei fehlender Niederlassungsbewilligung, Lohnsteuerabzug in Deutschland.
- Anwendbarkeit des DBA prüfen, um Doppelbesteuerung zu vermeiden.
Faktischer Arbeitgeber:
- Wesentlich für die steuerliche Behandlung ist, wer die Weisungsbefugnis ausübt.
- Bei Entsendungen über 3 Monate: Prüfung und Abstimmung mit der Steuerbehörde.
Empfohlenes Vorgehen:
- Frühzeitige Abklärung mit den zuständigen Behörden (Steuer, Sozialversicherung).
- In Zweifelsfällen: Ruling zur rechtlichen Absicherung einholen.